Eine Geschichte über Bruno

Dies ist eine Geschichte über Bruno. Nicht über Bruno, den Problembären, sondern über Bruno, das Hitzehoch.

Ich liebe die Hitze. Mein Blutdruck sinkt an die Bewußtlosigkeitsgrenze, die wochentags erbrachte Arbeitsleistung in einem südseitigen Büro, unklimatisiert, versuche ich vor meinem Chef zu verbergen (genau genommen gibt es nichts mehr zu verbergen), und in der Kantine lebe ich von Salat, Kaltschale und Joghurt, um nur nichts Warmes zu mir nehmen zu müssen.

An geordnetes Laufen ist nicht mehr zu denken, im Dienstagstraining schwächle ich hinter den Kollegen her, auch der Erfahrungsaustausch über die Gletscher in Chile hilft nicht wirklich.

In zwei Wochen ist Römerman-Triathlon! Da muss man auch laufen! Und nachmittags, in der größten Hitze!

Ich beschließe, vorher als Trainingseinheit den Halbmarathon in Ubstadt-Weiher zu laufen, im Wettkampf geht der Puls ja automatisch ein bisschen höher, und 21 km allein zu laufen, in der Hitze – absolut undenkbar.

In Weiher, vor dem Start: Durch ein nächtliches Gewitter ist die Luft abgekühlt, sicherlich unter 30°C. Luftfeuchtigkeit hoch, aber der Himmel bedeckt, immerhin. Einige Minuten vor dem Start mache ich mein T-Shirt nass, als „Vorkühlung“; irgendwie geniere ich mich, ich scheine der einzige zu sein, der ein Problem hat.

km 2: Man kann in der schwülen Hitze laufen, unter 5 min/km, erstaunlich.

km 6: Die Uhr zeigt 29:02, also minus 1 min gegen den 5-min-Schnitt. Ich beschließe, das mal so lange es geht durchzuhalten. Der Schweiß rinnt in Strömen.

km 7: Es geht in den Wald, dort hat es Nebel, schwül ohne Ende, es fehlt nur, dass Alligatoren träge über den Weg kriechen und Anacondas sich von den Bäumen ringeln.

km 10: 49:05 min, also minus 55 sec. Erste Verpflegungsstelle, ich kippe mir zwei Becher Wasser über Haare und T-Shirt.

km 11: Direkt vor mir läuft schon seit längerem eine „Pacemakerin“ in gleichmäßigem Tempo, da will ich mich mal dranhalten.

km 12: Minus 45 sec, wie konnte das passieren? Warum ist meine Pacemakerin auf einmal 30 m vor mir?

km 13: Einen Kilometer etwas flotter, um wieder aufzuholen, der Atem ist am Anschlag; naja, das wird an der Hitze liegen. Meine Pacemakerin erklärt ihrem Nachbarn ausführlich, dass sie knapp in der Zeit liegen, da werden sie eben die letzten 3 Kilometer etwas spurten. Genau, so geht das! Ich kann es ihr nur nicht mehr sagen, denn mein Atem, Ihr wisst schon.

km 14: Die Sonne kommt raus. Die Sonne kommt raus! Es ist, als ob eine Backofentür aufgeht; die restliche Bodenfeuchte verdampft schlagartig, meine Brille beschlägt. Das letzte Mal ist im Sommer meine Brille beschlagen beim Besuch eines Tropenhauses, wo Alligatoren und Anacondas, na Ihr wisst schon.

km 15: Minus 30 sec. Eigentlich ganz einfach, du musst nur noch 6 km mit 5:05 durchhalten, dann langt es auf die Sekunde. Wenn nur der Atem nicht, na Ihr wisst schon. Vielleicht habe ich zu wenig trainiert?

km 16: Wo ist meine Pacemakerin? Jetzt ist mentale Kraft gefragt: Bruno oder ich. Ein kleiner Zwischenspurt. Minus 25 sec. Kann es sein, dass es bei leerem Tank nicht hilft, das Gaspedal fest durchzutreten?

km 17: Das Rennen entscheidet sich im Kopf. Diesen Kilometer darfst du nicht über 5:05 laufen. Ausgefeilte Atemtechnik, optimierte Schrittlänge, perfekte Schrittfrequenz. Konzentration! Minus 20 sec.

km 18: Siehe km 17. Der Atem ist jenseits von gut und böse. Die Läufer schauen sich schon nach mir um. Soll ich nicht aufgeben? Es sollte ja nur ein Trainingslauf sein. Ach was, jetzt gerade. Das Rennen entscheidet sich im Kopf – mentale Härte ist gefragt: Bruno oder ich! Minus 10 sec. Irgendwie ist die Reserve jetzt weg.

km 19: Es geht aus dem Wald heraus, der Kirchturm von Weiher taucht auf. Warum ist er so klein? Die Sonne knallt herunter, die Anacondas haben sich in den Schatten geflüchtet. 1:35:07 – plus 7 Sekunden! Die mentale Kraft hat sich wohl kurz ausgeschaltet, wie war das mit dem Gaspedal, Ihr wisst schon. Soll ich aufgeben? Ach was, vielleicht stand das km-Schild ein paar Meter verkehrt. Du musst nur zwei Kilometerchen sprinten. Mein Pacemaker ist ausser Sichtweite. Das Rennen entscheidet sich im Kopf. Ausgefeilte Atemtechnik, Ihr wisst schon.

km 20: Plus 7 sec. Noch 1100 m, das schaffst du! Mit mentaler Kraft, Ihr wisst schon, fliege ich dem Ziel entgegen, ich spüre das Rauschen des Windes, die Füsse berühren kaum den Boden.

km 21,0: Kein Blick auf die Uhr, jede Sekunde zählt, so schnell bin ich noch nie durch die letzten Meter gestürmt.

Km 21,1: 1:46:04. Bruno, du hast gewonnen. Für dieses Mal.

Gunther