900 Höhenmeter und 05:02:34 Stunden Spaß
beim Pfälzer Wald Marathon 2006

Eigentlich hatte ich mich schon im April in diesen Lauf verliebt. Ein Marathon auf nicht asphaltierten Wegen, dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los. Allerdings plante ich ihn als krönenden Abschluss der Triathlonsaison. Nachdem jedoch Anfang Mai auf Grund meines gebrochenen Armes klar war, dass diese ohne mich stattfinden würde, war er zunächst einmal zur Ersatzbefriedigung degradiert. Auch musste ich erst noch ein wochenlanges mentales Tief überwinden.

Dann kam Ende Juni ganz plötzlich die Freude am Laufen zurück. Zudem konnte ich mich vorsichtig wieder im Baggersee bewegen, und das Radfahren blendete ich nun einfach aus. Es ging psychisch wieder bergauf, bald auch schon physisch einmal wöchentlich im Odenwald. Dazu noch Siggis Training und der Waldpark, alles im grünen Bereich.

Am 09.09. fuhr ich dann in aller Ruhe mit der S-Bahn nach Pirmasens. Unterkunft fand ich in einem kleinen, gemütlichen Hotel oben am Berg, zu spät entdeckte ich, dass Pasta-Party, Start und Ziel auf der anderen Seite des Tales lagen. Viele Treppen später hatte ich meine Startunterlagen unterm Arm. Auf einer sonnigen Bank schaute ich sie durch. Etwas ratlos betrachtete ich den Chip – er musste durch den Schuhbändel gezogen werden, sofern man einen hat. Nun, ich hatte keinen, sondern Gummizüge wegen des schnellen Wechselns beim Triathlon. Aber es war ja Samstag kurz vor 17:00, die Fußgängerzone gerade mal um die Ecke, also zog ich los, Schuhbändel zu kaufen. Woher sollte ich auch wissen, dass hier alle Läden um 16:00 schließen?! Also mit viel Geduld die festgezurrten Gummis aufgepfriemelt und den Chip eingebaut.

Sonntag, 10.09., 10:01. Vor einer Minute fiel der Startschuss. Über 900 Teilnehmer hat das Feld. Die Staffelläufer sind schnell über alle Berge, nach einigen Kilometern biegen auch die Läufer des Halbmarathons ab, ca 260 Marathonis verlieren sich im Pfälzer Wald. Bewusst habe ich weder Stopp- noch Pulsuhr dabei, laufe rein nach Gefühl. Ich bin alleine, entdecke plötzlich eine Muschel als Wegmarkierung – es ist der Jakobspilgerpfad. Ich stelle mir vor, ich verpasse einen Abzweig und lande in Santiago di Compostela, muss lachen bei diesem Gedanken, doch die Strecke ist leider zu gut markiert als dass dies geschehen könnte. Noch bin ich ganz locker, atme tief die herrliche Waldluft ein, freue mich an der Natur.

Bei Kilometer 19 überqueren wir die B 39. Auf der Schnellstraße wären es nur noch 5 km bis zum Ziel, dummerweise stehen überall Polizisten und achten darauf, dass niemand abkürzt. Oder habe ich da etwas missverstanden?

Dann wird es ernst. Die zweite Hälfte der Strecke ist wesentlich anspruchsvoller, steil geht es bergauf, im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein. Zwei kurze Passagen muss ich sogar gehen, ich wäre sonst mehr oder weniger auf der Stelle getrippelt. Es folgt ein langer Abstieg, ich bremse mich, damit ich nicht überziehe. Jetzt bin ich in einem romantischen kleinen Tal angelangt. Ein leise murmelnder Bach, Libellen, Schmetterlinge, die letzten leuchtenden Blumen, es duftet nach Spätsommer – eigentlich hätte ich nach 30 km wirklich eine Siesta verdient! Aber nachdem ich schon einige Läufer in Sichtweite habe, ignoriere ich diese innere Stimme der Vernunft. Doch die Beine sind inzwischen sehr schwer geworden.

Eine unendlich lange Steigung liegt vor mir, eine Rampe nach der anderen gilt es zu überwinden. 34, 35, 36 km, kein Ende in Sicht. Und dann das Unglaubliche: Ich überhole in gleichmäßigem Tempo einen nach dem anderen. Sie bewundern meine Leistung, feuern mich an. Dabei gibt es da eigentlich gar nicht mehr viel zu bewundern – ich habe einfach nur solche Schmerzen, dass ich nicht in der Lage bin, meinen Rhythmus zu wechseln. Gleichzeitig könnte ich jedoch Bäume ausreißen, aber ich laufe ja schließlich in einem Naturpark.

Nach 40 Kilometern ist die Stadtgrenze erreicht, geht es endlich wieder bergab. Schon hört man den Sprecher, die Musik, den Beifall. Doch auf den letzten 800 Metern steigt die Straße nochmals unmerklich an, es ist das reinste Fegefeuer. Und dann zum Abschluss die Hölle: Die Strecke führt direkt am Zielkanal vorbei noch eine Runde um den Messplatz herum. Ich kann es fast nicht glauben, als tatsächlich endlich die Matte piepst!

Vielleicht hätte ich mit der Uhr noch zwei oder drei Minuten herausholen können. Aber dieses wunderbare Gefühl der Freiheit hätte ich dann niemals gehabt. Es war mein bis jetzt härtester und gleichzeitig schönster Lauf. Und ich bin überglücklich über meine Zielankunft, denn nicht jeder hatte gefinisht.

Christiane Selter