Trans Via Mala – Lauf im Oktober 2007

Unter dem Einfluss eines kräftigen Hochs über Frankreich gelangt polare Kaltluft nach Mitteleuropa. Schneefallgrenze in den Mittelgebirgen und am Alpennordrand von 1000 auf 700 Meter fallend.

Der Transviamalalauf startet in Thusis, in Graubünden am Hinterrhein, auf 700 Meter Höhe, um in Donat, auf 1000 Meter, zu enden.

Bei der Hinfahrt am Vortag lag auf der Schwäbischen Alb kräftiger Rauhreif, und ab Bregenz waren die Berge auf beiden Seiten des Rheintals zart bepudert. In aller Kürze: Es ist saukalt.

Via Mala heißt übersetzt „schlechter Weg“, der Name stammt aus dem 13. Jht., als der Weg durch die tiefe Klamm des Hinterrheins, der Teil einer wichtigen, seit der Römerzeit benutzten Route aus Graubünden über die Alpen – via Splügenpass ins Tessin – war, nach und nach verfiel.

Kurz vor dem Start um 10:15 in Thusis, die eine oder andere verirrte Schneeflocke zeigt an, dass es (knapp) unter Null Grad hat, um uns herum gestandene Schweizer, einige in halbkurzen Hosen oder im T-Shirt – die ticken hier halt anders, offenbar. Eine Kölner und eine Straßburger Gruppe werden, offenbar da exotisch, sogar vom Sprecher erwähnt. Knall – es geht los: Lores Kommentar in den ersten 10 Sekunden: “ Die spinnen“ – sie meint das Tempo; das Feld zieht ab wie von der Tarantel gestochen. Die Route führt sofort in die Schlucht, dann geht es erstmal über 2 km auf der alten Straße gleichmäßig hoch, so etwa mit 8%. Via Mala frei übersetzt „der Weg der bergaufgeht“.

Dann stürzt sich der Weg in den Abgrund – interessant, wie tief es da noch geht, über Stufen, Wurzeln, Stock und Stein (jetzt ist klar, was in der Ausschreibung „single trail“ bedeutete), über eine Hängebrücke, drüben genauso wieder rauf; jetzt kann man etwas verschnaufen, denn es bildet sich ein Stau. „Überholen verboten“ warnt ein Schild, rechts geht’s abi, an den ausgesetztesten Stellen gibt’s Geländer. Via Mala auf neudeutsch: „Single Trail“! Man landet viel zu hoch, haselt auf einem Pfad, auf dem üblicherweise Eltern ihren Kindern sagen, dass sie vorsichtig laufen sollen, wieder abwärts auf die (heutige) Via Mala Straße, dort ein Schild „300 m Asphalt“. Die Graubündener warnen auf einem Volkslauf vor dem Asphalt – irgendwie ticken sie anders, wie schon vermutet. Man hat bereits den Ausgang des Tales vor Augen, aber was ist das? Der Weg zweigt von der Straße ab, single trail natürlich, und windet sich in steilen Kehren die linke Hangflanke hoch – ist da ein Gipfel mit eingeplant? Der voraus erkennbare Talboden liegt schon deutlich unterhalb, da fällt mir siedendheiß ein, in der Ausschreibung wurde als einer der Höhepunkte der Strecke der grandiose Ausblick in das weite offene Tal genannt – na klar, grandios ist er, wenn man von oben schaut! TransViaMala, der Lauf mit den Grandiosen Ausblicken.

Verpflegung, gediegen mit heißem, süßen Tee und Bouillon, 8 km, genau eine Stunde ist schon rum. Schnitt so etwa 7:30.

Nach dem grandiosen Ausblick geht’s wieder runter, steil und single trail, versteht sich, der Wald lichtet sich, ein Streckenposten meint: „jetzt nur noch eben und dann noch ein kleiner Schlussanstieg“ – das klingt ja verheißungsvoll.

„Eben“ ist erstmal wieder hoch und wieder runter, dann kommt endlich ein Dorf, die Zivilisation! Es ist Zillis, das übrigens eine romanische Kirche mit der besterhaltensten Holzdeckenmalerei aus jener Zeit Europas beherbergt; die Kirche selbst würde anderswo als Bunker durchgehen, wenn man vom Turm absieht; aber die Häuser sind hier alle so, meterdicke Mauern, kleine Fenster, dafür teilweise ausdrucksvolle Graffitimalereien aus allen Epochen seit dem Mittelalter.

In Zillis wird wieder vor vor 600 m Asphalt gewarnt, denn dann geht’s doch schon wieder, welche Überraschung, steil auf einer Bergwiese hoch, hinter einem Zaun weidende Kühe, die wohl gar nicht wissen, wie gut es ihnen geht, dass sie hier einfach rumstehen dürfen. Natürlich folgt ein grandioser Ausblick, natürlich geht’s wieder steil runter, wenn das „eben“ ist, was ist dann ein „Schlussanstieg“?

TransViaMala, der Lauf wo’s „eben“ rauf und runter geht. Rechts auf der anderen Talseite sieht man auf gleicher Höhe Donat, das Ziel, aber leider folgt noch eine lange Schleife in den Talboden. Jetzt geht es tatsächlich gleichmäßig flach bergab (Warnung: „3,5 km Asphalt“ und mehrere kleine Gegenanstiege natürlich mit inbegriffen), bis nach Andeer, ein Dorf, das am Ende des offenen Talgrundes liegt. Man läuft durch die gepflasterte Dorfstraße, trutzige Bürgerhäuser zu beiden Seiten, an Bäcker, Gasthaus zum Adler und Thermalbad vorbei (ein Jahresgutschein für letzteres, das beim Care Paket mit dabei war, nutzt einem im Moment leider gar nichts), dann kommt km 16 (18,5 km ist die Gesamtlänge), und so langsam müsste der Schlussanstieg kommen.

Der Weg, ein ganz normaler Wanderweg (gibt’s hier auch!) führt gleichmäßig leicht bergauf, na das sieht ja gut aus. Im lichten Wald hört man voraus Kuhglocken (die zum Anfeuern) – vielleicht ist das schon das Ziel?

Der Wald öffnet sich, was ist denn das?! Eine steile Bergwiese, darauf in mehreren Kehren die Läuferkolonnen zu sehen, man muss schon fast den Hals verdrehen, um hochzuschauen. Na ja, eigentlich logisch, wenn das bisher „eben“ war, dann kann ein „Schlussanstieg“ ja nicht anders aussehen.

„Ho, ho, heia, heia!“ – so lauten die hiesigen Anfeuerrufe (Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass so auch die Rindviecher beim Almauftrieb angefeuert werden). Ein bisschen kommt sogar die Sonne raus, das Tal im leuchtenden Herbstgold der Blätter, gegenüber zart eingepuderte Berge, die Kuhglocken an jeder Kehre ziehen einen förmlich hoch (nur das Lungenvolumen, das ist mal wieder irgendwie unterdimensioniert) – TransViaMala, der Andere Almauftrieb.

Km 18, 1:59:30, die steilen Kehren sind bewältigt, du hast sicher schon vorhergesehen, dass man oberhalb des Zieles rauskommt, und so war es auch. Noch 500 m leicht bergab, mit einem Gegenanstieg, versteht sich, dann hinein ins Dorf Donat, vorbei an einer Herde Lamas (die sind normalerweise in unwirtlichen Regionen auf mehreren Tausend Metern Höhe knapp unter der Grenze des ewigen Schnees beheimatet), die Musik dröhnt schon ganz nah, um die Ecke in den Zielkanal: Da lauert noch das letzte Hindernis, eine aufgebaute Brücke mit Stufen rauf und wieder runter (nachträglich stellt sich raus: Damit die Zuschauer ebenerdig kreuzen können – die Veranstalter haben eindeutig die Prioritäten auf Cross Country gelegt!), dann gibt der Helfer ein Zeichen zum Bremsen (für den, der mental nicht mehr in der Lage ist, mitzukriegen, dass er angekommen ist) und das war’s schon: 2:03.

Im Verpflegungszelt gibt’s Nahrhaftes abzufassen , dann setzen wir uns, dick eingepackt, noch ein bisschen an die Biertische (im Freien aufgebaut), dankbar und bedenkenlos unter einen – ökologisch bedenklichen – Gasstrahler, erholen uns etwas, unter der wintrigen Sonne bei um null Grad, und bestaunen das allgemeine Publikum, das hemdsärmelig und ohne Mütze und Handschuhe fröhlich die Stimmung genießt. Graubünden ist anders, und auch der TransViaMala!

Gunther und Lore